1. Ich denke - also bin
ich nicht (1) Zusammenfassung deutsch
Vom deutschen Idealismus
zur nationalen Ideologie. Jahwe, Spinoza und die Juden als
Feindbilder deutscher Denker und Demagogen.
Die heute in der Antisemitismusforschung vorherrschende
Lehre, wie sie etwa von Jacob Katz in From Prejudice
to Destruction vertreten wird, besagt: Auch der seit
etwa 1870 in Deutschland und Europa einsetzende moderne Antisemitismus
geht auf das Konto der christlichen Religion. Dagegen möchte
ich eine wesentlich plausiblere These setzen: Der moderne
deutsche Antisemitismus resultierte aus dem deutschen Idealismus,
aus dem die deutsche Rechte während des 19. Jahrhunderts
eine nationale Ideologie oder Weltanschauung entwickelte,
wobei sie den ursprünglich moralischen Charakter von
Kants pazifistischer Philosophie bewusst eliminierte. Aber
der Verlust moralischer Gehalte setzte schon unter Kants Nachfolgern
ein, und da wären selbst große Namen zu nennen,
wie Fichte, Schopenhauer, Feuerbach, Marx und Nietzsche.
Antisemit war nur Schopenhauer, Hitlers Lieblingsphilosoph.
Aber Aversionen gegen Juden haben alle diese Denker entwickelt.
Warum? Man kann die deutsche Philosophie, was der junge Marx
am deutlichsten gesehen hat, als eine geistige Revolution
gegen den ursprünglich jüdischen Gott interpretieren,
d.h. gegen den Schöpfer der Welt und den obersten moralischen
Gesetzgeber. Diese geistige Revolution fand zwar im 18. und
19. Jahrhundert in der ganzen abendländischen Welt statt,
auch in der angelsächsischen Philosophie, aber nirgends
so radikal wie in Deutschland. So lässt sich der entscheidende
Gedanke der deutschen Philosophie, die Autonomie
des Willens in der Moral, in der englischen Sprache
ohne künstliche Begriffe gar nicht ausdrücken, denn
er besagt: Weder Gott noch die Gesellschaft, sondern das Ich
legt sich selbst das allgemeine moralische Gesetz auf. Für das Ich gibt es in der englischen Sprache keine Entsprechung,
denn the I oder the me oder the ego wären
künstliche Begriffe und nicht identisch mit das Ich.
Die deutsche Sprache besitzt eine höhere Abstraktionsfähigkeit
als die englische, aber darin liegt, wie wir gleich sehen
werden, auch eine große Gefahr.
Fichte, der seine Philosophie in den Dienst der Kriege gegen
Napoleon stellte, hat schon 1808 in seinen Reden an die
deutsche Nation die Grundlage für die völkische
Ideologie der deutschen Rechten gelegt, die durch den Alldeutschen
Verband bis zu Hitler lebendig blieb. Trotzdem war er,
von einigen Jugendsünden abgesehen, kein Antisemit.
Aber mit zunehmendem Nationalismus setzte in Deutschland -
wohl weitgehend unbemerkt von den meisten Gebildeten - eine
verhängnisvolle Entwicklung ein. Zentrale Thesen des
deutschen Idealismus wurden von obskuren Denkern, die in der
Öffentlichkeit nicht ohne Resonanz blieben, weiterentwickelt,
so dass die ursprünglichen Intentionen Kants um 180 Grad
verdreht wurden. Eugen Dühring, der erste Rassenantisemit,
hat als erster die metaphysische Willensfreiheit
Kants dahingehend umgedeutet, dass der Wille des Germanen
jeden Widerstand breche. Und der Rassenantisemit H.
St. Chamberlain hat in den Grundlagen des XIX. Jahrhunderts
aus Kants Lehre, dass sich, wie gesagt, das Ich das
allgemeine moralische Gesetz selbst auferlege, das Wort allgemeine
gestrichen. Übrig blieb dann: der wilde Germane, der
schon um 100 v.Chr. Angst und Schrecken im Römischen
Reich verbreitete (furor teutonicus), solle sich sein
eigenes Sittengesetz schaffen.
So konnte Goebbels am 18.2.1943, also nach der Kapitulation
von Stalingrad, in der berühmten Rede Wollt ihr
den totalen Krieg? verkünden, der wilde (damit
meint er: der barbarische, verbrecherische) Wille des Deutschen
breche jeden Widerstand, - wenn er nicht vom Juden zersetzt
wird.
Warum der Jude als Zersetzer des deutschen Willens erschien,
lag auf der Hand:
Juden galten allen Statistiken über im Ersten Weltkrieg
Gefallene zum Trotz als feige. Denn nach Treitschke, der ein
Vorurteil Kants aufgriff, stellten sie ein Volk dar, das noch
nicht die sittliche Kraft zur Bildung eines Staats aufgebracht
habe, also nicht bereit war, Kriege zu führen.
Der Jude stand - und dies wird aus einer Warnung der SS-Zeitung
Das Schwarze Korps aus dem Jahre 1937 deutlich
- für moralische Skrupel, z.B. minderwertiges Leben
zu töten. Schließlich stammte das Gebot Du
sollst nicht töten! aus der hebräischen
Bibel.
Dass all diese Zusammenhänge bis heute nicht erkannt
wurden, hat vor allem zwei Gründe. Erstens haben deutsche
Philosophen - dies gilt für Kant, Fichte und Hegel -
schon aus Furcht vor der Zensur christlicher Regierungen ihre
antichristliche Lehre eine christliche Philosophie
genannt. Deshalb wurden die Juden auch von antichristlichen
deutschen Publizisten, die den deutschen Idealismus zur deutschen Staatsphilosophie erklärten, als Nichtchristen
quasi automatisch ausgegrenzt.
Zum anderen wurden die gesellschaftlichen Konsequenzen der
deutschen Philosophie bis heute noch nicht diskutiert.
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