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Dieter Just

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1. ich denke-also bin ich nicht (1)   /   2. ich denke-... (2)   /   3. Der Untermensch   /   
4. Weltanschauliche Schulung   /  5. Ein falscher Prophet   /  6. Der Fanatismus der »Vernunft«   /   8. Der Krieg der Geister um die Werte   /   9. Das radikale Böse in der menschlichen Natur   /   10. Vom Idealismus zur Rassenlehre   /   11. Ein Kultbuch der Rechten   /   12. Die religiöse Revolution   /  13. Die deutsche Tragödie - dargestellt an Lenaus Faust   /  14. Das „auserwählte Volk“ der Philosophie   /  15. Hermann Löns, ein Opfer germanischer Hybris  /  16. Schlussbetrachtung   /  17. Dr. Otto Dietrich: Die philosophischen Grundlagen des Nationalsozialismus   /   18. Der innere Feind    /   19. Felix Dahn – der Erfinder des „Übermenschen“   /   20. Sieg oder Untergang des „Reiches“   /   21. Ein amerikanischer Rassist  /  zurück

Einleitung zu
7. Der Antisemitismus der »Vernunft«
Anmerkungen zu »Die Sendung Moses« von Friedrich Schiller

Der Antisemitismus aus rein gefühlsmäßigen Gründen wird seinen letzten Ausdruck finden in der Form von Pogromen. Der Antisemitismus der Vernunft muß jedoch führen zur planmäßigen gesetzlichen Bekämpfung und Beseitigung der Vorrechte des Juden. Sein letztes Ziel aber muß unverrückbar die Entfernung der Juden überhaupt sein.
Hitler 1919

Friedrich Schiller war und ist der mit Abstand populärste deutsche Dichter. Die Feiern zu seinem hundertsten Geburtstag im Jahre 1859 gerieten zu einer eindrucksvollen Selbstdarstellung der deutschen Kulturnation, „so weit die deutsche Zunge reichte“, lange vor ihrer politischen Einigung. Letztere wäre allerdings, wie Thomas Mann in seinem Versuch über Schiller zu Recht betonte, nicht im Sinn des Dichters gewesen, was sich aus dem Gedichtentwurf Deutsche Größe (1797) eindeutig ergebe. Schiller hätte die nationale Revolution von 1848 und erst recht die Reichsgründung Bismarcks 1871 als zu gewaltsam abgelehnt, akzeptierte er doch nur den an Kants Forderung nach sittlicher Autonomie orientierten „sittlichen Staat“ oder „Vernunftstaat“ 1, für den die Menschheit in hundert Jahren noch nicht reif sein werde. Die „deutsche Größe“ lag für ihn im Geistigen, in der Reformation und in der deutschen Philosophie. Kaum ein deutscher Dichter oder Denker hat eine so idealistische Gesinnung vertreten wie Schiller, dessen Name zuletzt noch von Rüdiger Safranski mit dem deutschen Idealismus 2 assoziiert wurde. Doch bei so viel Licht ist, wie schon Goethe wusste, auch starker Schatten. Und die dunkle Seite gerade dieses Idealismus zeigt sich zunächst in einer überheblichen Verachtung des britischen Geistes, seiner „trostlosen Philosophie des Eigennutzes“ und seines „traurigen Materialismus“. (Deutsche Größe). Damit sind Stereotype genannt, die auch auf die Juden Anwendung fanden.

Schiller war, selbst wenn die Überschrift und das eben Gesagte einen anderen Eindruck hinterlässt, kein Antisemit, da das Thema Juden in seinem Lebenswerk fast keine Rolle spielte. Er widmete der „Judenfrage“, um einen späteren, sehr unglücklichen Ausdruck zu gebrauchen, nur eine einzige Schrift, in der sich allerdings ein Abgrund auftut. Das Thema ist bislang ein Tabu. 3 Und angesichts der unangefochtenen moralischen Autorität dieses Dichters scheint es auch nicht ganz unproblematisch, seine antisemitische Entgleisung zu beleuchten und in den Zusammenhang eines philosophischen Antisemitismus zu stellen, der sich auch bei Voltaire nachweisen lässt. Deshalb sei von Anfang an betont: Alle hier zur Sprache kommenden, zum Teil vernichtenden Urteile über „die Juden“ haben absolut nichts mit irgendwelchen Eigenschaften der seit dem Mittelalter in Europa lebenden Juden zu tun, vielmehr handelt es sich um folgenschwere Denkfehler, die anerkannte Philosophen wie Schiller und Voltaire zu verantworten haben. Schiller ließ im Jahre 1790 erstmals eine Schrift mit dem Titel Die Sendung Moses erscheinen, in der er spätere Positionen des Rassenantisemitismus vorwegnahm. In der ägyptischen Gefangenschaft, so Schiller, „wurde schon der erste Grund zu dem Übel gelegt, welches dieser Nation bis auf die heutigen Zeiten geblieben ist“. Er meint zunächst, „die schrecklichste Plage dieses Himmelsstrichs, den Aussatz“, der durch „höchste Unreinlichkeit“ damals „in einem fürchterlichen Grade wütete.“ Dann folgt ein schlimmer Satz:

Die Quellen des Lebens und der Zeugung wurden langsam durch ihn (den Aussatz) vergiftet, und aus einem zufälligen Übel entstand endlich eine erbliche Stammeskonstitution. (IV,786) 4

„Erbliche Stammeskonstitution“ ist, auch wenn das Wort Rasse nicht auftaucht, rassistisch, ein deutlicher Hinweis, dass der Rassenantisemitismus des Darwinismus nicht bedurfte. Hinzu kommen noch inakzeptable Schmähungen, denn unmittelbar anschließend heißt es:

... was hat die Unmenschlichkeit der Ägypter im Verlauf einiger Jahrhunderte aus dem Volk der Hebräer endlich gemacht? Das roheste, das bösartigste, das verworfenste Volk der Erde... (787)

Aus dem Zusammenhang wird nicht ganz deutlich, ob Schiller nur die Hebräer zur Zeit des Moses meint, worauf der wenig später gegebene Hinweis auf die „damaligen Hebräer“ deutet, die so verworfen gewesen seien, dass aus ihren Reihen der Retter nicht kommen konnte, oder ob dieses vernichtende Urteil auch noch für die Juden in der Neuzeit gilt, was durch den Wortlaut 5 mindestens ebenso wahrscheinlich ist. Und ein Vergleich mit der „Schrift ähnlichen Inhalts“, die Schiller zuletzt erwähnt, da er daraus „verschiedene der hier zum Grund gelegten Ideen und Daten genommen“ habe, nämlich Über die ältesten hebräischen Mysterien von Br. Decius, „welche einen berühmten und verdienstvollen Schriftsteller zum Verfasser hat“, bringt weitere Klarheit über diesen Zusammenhang. Gemeint ist die 1788 in Leipzig herausgekommene Abhandlung Die hebräischen Mysterien oder die älteste Freimaurerei von Karl Leonhard Reinhold. Dieser nannte die Juden, ähnlich wie auch Schiller, einerseits das weiseste Volk und zugleich den „dümmsten und bösartigsten Pöbel ..., der uns aus der ältern und neuern Geschichte bekannt ist“ (39) Demnach wollte er bewusst auch die Juden seiner Zeit treffen.
Wenn aber Schiller und Reinhold ins Visier gerieten, dann fällt unweigerlich der Name Kants, was vielleicht die Methode des Verschweigens und Vertuschens, zu der noch Rüdiger Safranski Zuflucht nahm, (siehe Anm.10) erklärt. In dieser Frage steht Einiges auf dem Spiel. Was Schiller angeht, bin ich der Meinung, dass es seinen Ruhm als großer Dramatiker keineswegs schmälert, wenn mit der Tradition, seine Person zu idealisieren, endlich gebrochen wird. Aber für uns steht jetzt der große Dichter als Wissenschaftler auf dem Prüfstand, denn man sollte falsche wissenschaftliche Thesen nicht als „Religionsphilosophie“ durchgehen lassen, was leider bis heute üblich ist. (siehe Anm. 3) Reinhold hat wiederum The divine legation of Moses von William Warburton, (London 1742) als seine Quelle angegeben, aus deren deutscher Übersetzung von Johann Christian Schmidt „Wilhelm Warburtons Göttliche Sendung Mosis“ (Leipzig 1751) ich zitieren werde.
In den hier erwähnten Schriften Warburtons, Reinholds und Schillers wird den Hieroglyphen eine erhebliche Bedeutung zugemessen. Da die ägyptische Schrift damals jedoch noch nicht entziffert war, sind alle diese Werke wissenschaftlich überholt. Heute kommt ihnen nur noch eine Bedeutung für die Antisemitismusforschung zu, zumal wenn Lessings Schrift Die Erziehung des Menschengeschlechts (1777) noch herangezogen wird, in der Warburton zumindest erwähnt wird, und uns ein kurzer Vergleich mit Voltaires Antisemitismus hilft, Schillers Schmährede auf die Juden in den geistesgeschichtlichen Kontext einzuordnen. Der Text Warburtons ist frei von Antisemitismus, was auch für Lessings Schrift gilt. Also stellt sich die Frage, woher der Antisemitismus der späteren Autoren denn gekommen sei.

- Ende der Einleitung -

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