Einleitung zu
7. Der Antisemitismus der »Vernunft«
Anmerkungen
zu »Die Sendung Moses« von Friedrich Schiller
Der Antisemitismus aus rein gefühlsmäßigen
Gründen wird seinen letzten Ausdruck finden in der Form
von Pogromen. Der Antisemitismus der Vernunft muß jedoch
führen zur planmäßigen gesetzlichen Bekämpfung
und Beseitigung der Vorrechte des Juden. Sein letztes Ziel
aber muß unverrückbar die Entfernung der Juden
überhaupt sein.
Hitler 1919
Friedrich Schiller war und ist der mit Abstand
populärste deutsche Dichter. Die Feiern zu seinem hundertsten
Geburtstag im Jahre 1859 gerieten zu einer eindrucksvollen
Selbstdarstellung der deutschen Kulturnation, so weit
die deutsche Zunge reichte, lange vor ihrer politischen
Einigung. Letztere wäre allerdings, wie Thomas Mann in
seinem Versuch über Schiller zu Recht betonte,
nicht im Sinn des Dichters gewesen, was sich aus dem Gedichtentwurf
Deutsche Größe (1797) eindeutig ergebe.
Schiller hätte die nationale Revolution von 1848 und
erst recht die Reichsgründung Bismarcks 1871 als zu gewaltsam
abgelehnt, akzeptierte er doch nur den an Kants Forderung
nach sittlicher Autonomie orientierten sittlichen Staat
oder Vernunftstaat 1,
für den die Menschheit in hundert Jahren noch nicht reif
sein werde. Die deutsche Größe lag
für ihn im Geistigen, in der Reformation und in der deutschen
Philosophie. Kaum ein deutscher Dichter oder Denker hat eine
so idealistische Gesinnung vertreten wie Schiller, dessen
Name zuletzt noch von Rüdiger Safranski mit dem deutschen
Idealismus 2 assoziiert wurde.
Doch bei so viel Licht ist, wie schon Goethe wusste, auch
starker Schatten. Und die dunkle Seite gerade dieses Idealismus
zeigt sich zunächst in einer überheblichen Verachtung
des britischen Geistes, seiner trostlosen Philosophie
des Eigennutzes und seines traurigen Materialismus.
(Deutsche Größe). Damit sind Stereotype
genannt, die auch auf die Juden Anwendung fanden.
Schiller war, selbst wenn die Überschrift
und das eben Gesagte einen anderen Eindruck hinterlässt,
kein Antisemit, da das Thema Juden in seinem Lebenswerk fast
keine Rolle spielte. Er widmete der Judenfrage,
um einen späteren, sehr unglücklichen Ausdruck zu
gebrauchen, nur eine einzige Schrift, in der sich allerdings
ein Abgrund auftut. Das Thema ist bislang ein Tabu.
3 Und angesichts der unangefochtenen moralischen Autorität
dieses Dichters scheint es auch nicht ganz unproblematisch,
seine antisemitische Entgleisung zu beleuchten und in den
Zusammenhang eines philosophischen Antisemitismus zu stellen,
der sich auch bei Voltaire nachweisen lässt. Deshalb
sei von Anfang an betont: Alle hier zur Sprache kommenden,
zum Teil vernichtenden Urteile über die Juden
haben absolut nichts mit irgendwelchen Eigenschaften der seit
dem Mittelalter in Europa lebenden Juden zu tun, vielmehr
handelt es sich um folgenschwere Denkfehler, die anerkannte
Philosophen wie Schiller und Voltaire zu verantworten haben.
Schiller ließ im Jahre 1790 erstmals eine Schrift mit
dem Titel Die Sendung Moses erscheinen, in der er spätere
Positionen des Rassenantisemitismus vorwegnahm. In der ägyptischen
Gefangenschaft, so Schiller, wurde schon der erste Grund
zu dem Übel gelegt, welches dieser Nation bis auf die
heutigen Zeiten geblieben ist. Er meint zunächst,
die schrecklichste Plage dieses Himmelsstrichs, den
Aussatz, der durch höchste Unreinlichkeit
damals in einem fürchterlichen Grade wütete.
Dann folgt ein schlimmer Satz:
Die Quellen des Lebens
und der Zeugung wurden langsam durch ihn (den
Aussatz) vergiftet, und aus einem
zufälligen Übel entstand endlich eine erbliche
Stammeskonstitution. (IV,786)
4
Erbliche Stammeskonstitution ist,
auch wenn das Wort Rasse nicht auftaucht, rassistisch,
ein deutlicher Hinweis, dass der Rassenantisemitismus des
Darwinismus nicht bedurfte. Hinzu kommen noch inakzeptable
Schmähungen, denn unmittelbar anschließend heißt
es:
... was hat die Unmenschlichkeit
der Ägypter im Verlauf einiger Jahrhunderte aus dem Volk
der Hebräer endlich gemacht? Das roheste, das
bösartigste, das verworfenste Volk der Erde... (787)
Aus dem Zusammenhang wird nicht ganz deutlich,
ob Schiller nur die Hebräer zur Zeit des Moses meint,
worauf der wenig später gegebene Hinweis auf die damaligen
Hebräer deutet, die so verworfen gewesen seien,
dass aus ihren Reihen der Retter nicht kommen konnte, oder
ob dieses vernichtende Urteil auch noch für die Juden
in der Neuzeit gilt, was durch den Wortlaut 5
mindestens ebenso wahrscheinlich ist. Und ein Vergleich mit
der Schrift ähnlichen Inhalts, die Schiller
zuletzt erwähnt, da er daraus verschiedene der
hier zum Grund gelegten Ideen und Daten genommen habe,
nämlich Über die ältesten hebräischen
Mysterien von Br. Decius, welche einen berühmten
und verdienstvollen Schriftsteller zum Verfasser hat,
bringt weitere Klarheit über diesen Zusammenhang. Gemeint
ist die 1788 in Leipzig herausgekommene Abhandlung Die
hebräischen Mysterien oder die älteste
Freimaurerei von Karl Leonhard Reinhold. Dieser nannte
die Juden, ähnlich wie auch Schiller, einerseits das
weiseste Volk und zugleich den dümmsten und
bösartigsten Pöbel ..., der uns aus der ältern
und neuern Geschichte bekannt ist (39) Demnach
wollte er bewusst auch die Juden seiner Zeit treffen.
Wenn aber Schiller und Reinhold ins Visier gerieten, dann
fällt unweigerlich der Name Kants, was vielleicht die
Methode des Verschweigens und Vertuschens, zu der noch Rüdiger
Safranski Zuflucht nahm, (siehe Anm.10) erklärt. In dieser
Frage steht Einiges auf dem Spiel. Was Schiller angeht, bin
ich der Meinung, dass es seinen Ruhm als großer Dramatiker
keineswegs schmälert, wenn mit der Tradition, seine Person
zu idealisieren, endlich gebrochen wird. Aber für uns
steht jetzt der große Dichter als Wissenschaftler auf
dem Prüfstand, denn man sollte falsche wissenschaftliche
Thesen nicht als Religionsphilosophie durchgehen
lassen, was leider bis heute üblich ist. (siehe Anm.
3) Reinhold hat wiederum The divine legation of Moses
von William Warburton, (London 1742) als seine Quelle angegeben,
aus deren deutscher Übersetzung von Johann Christian
Schmidt Wilhelm Warburtons Göttliche Sendung
Mosis (Leipzig 1751) ich zitieren werde.
In den hier erwähnten Schriften Warburtons, Reinholds
und Schillers wird den Hieroglyphen eine erhebliche Bedeutung
zugemessen. Da die ägyptische Schrift damals jedoch noch
nicht entziffert war, sind alle diese Werke wissenschaftlich
überholt. Heute kommt ihnen nur noch eine Bedeutung für
die Antisemitismusforschung zu, zumal wenn Lessings Schrift
Die Erziehung des Menschengeschlechts (1777) noch herangezogen
wird, in der Warburton zumindest erwähnt wird, und uns
ein kurzer Vergleich mit Voltaires Antisemitismus hilft, Schillers
Schmährede auf die Juden in den geistesgeschichtlichen
Kontext einzuordnen. Der Text Warburtons ist frei von Antisemitismus,
was auch für Lessings Schrift gilt. Also stellt sich
die Frage, woher der Antisemitismus der späteren Autoren
denn gekommen sei.
- Ende der Einleitung -
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